Herr Wittschurky, in der öffentlichen Wahrnehmung werden Feuerwehrkräfte im Einsatz besonders oft von Gruppen angegriffen. Stimmt das Bild anhand Ihrer Befragung, die Sie Anfang dieses Jahres durchgeführt haben?
Nein, das Bild stimmt eindeutig nicht. Nur knapp 14 Prozent der Befragten gaben an, dass mehrere Personen sie angegriffen haben. Daran hat sich zu dem Wert in der Befragung 2020 nicht viel geändert, da waren es 15 Prozent. Das bedeutet im Umkehrschluss: In 86 Prozent der Fälle sind es einzelne Personen, die Feuerwehrkräfte bedrohen oder tätlich angreifen.
Welche Rolle spielt Alkohol dabei?
Überraschenderweise keine oder nur eine sehr geringe Rolle. Auch hier haben nur 15 Prozent der Befragten angegeben, dass die Täterin oder die Täter erkennbar unter Alkoholeinfluss standen.
Die tätlichen Angriffe machen eher einen geringen Teil aus. Zum großen Teil werden die Einsatzkräfte beschimpft, bedroht oder während des Einsatzes behindert. Was macht das mit den Einsatzkräften?
Sie sind irritiert, sie sind frustriert, sie sind verunsichert. Und wenn man irritiert, frustriert und verunsichert seine schwierige Arbeit im Feuerwehrdienst verrichten muss, dann ist man unkonzentriert und dann steigt die Unfallgefahr. Auch deswegen ist das für uns ein Problem.
Die Befragung zeigt sehr deutlich, dass die Beschimpfungen und Bedrohungen als besonders belastend empfunden werden im Gegensatz zu den körperlichen Attacken. Warum ist das so?
Ich glaube, das hat was damit zu tun, dass den Einsatzkräften der Respekt in dieser Situation versagt wird. Sie kommen an einen Einsatzort. Sie wollen in einer schwierigen Situation helfen und werden angepöbelt und beschimpft. Und das empfinden sie als eine besonders belastende Situation, weil sie ja eigentlich Gutes im Sinn haben.
Feuerwehren genießen eine hohe Akzeptanz bei der Bevölkerung, sind im Gemeindeleben integriert und rangieren, was Vertrauen angeht, weit oben. Wie lässt sich die Gewalt bei Einsätzen erklären?
Das ist eine Frage, die uns auch beschäftigt. Ich beschreibe mal eine typische Situation, die uns oft geschildert wurde: Eine Straße muss aufgrund eines Einsatzes gesperrt werden. Dann kommt jemand mit seinem Auto angefahren und kommt nicht in seine Straße oder nicht auf sein Grundstück. In dieser Situation verliert die Person die Nerven, schreit, pöbelt, und – was sehr häufig geschildert wird – droht an, mit dem Auto eine Einsatzkraft anzufahren. Vielleicht steht die Person auch unter Stress, hat einen Termin. Aber die Person sieht auch, dass es dort einen Einsatz gibt, Menschen Hilfe brauchen. Warum das offenbar nicht reflektiert werden kann, dafür habe ich keine Erklärung. Beim nächsten Sturm ist die Person dankbar, dass die Feuerwehr hilft, den umgestürzten Baum zu sichern. Und beim nächsten Kitafest sind die eigenen Kinder ganz begeistert, mal in einem Feuerwehrauto zu sitzen.
Was sich deutlich verändert hat im Vergleich zu 2020: Als schlimm empfundene Vorfälle wurden doppelt so oft der Polizei und der Gemeinde gemeldet, ein Anstieg von 15,5 Prozent auf 30,8 Prozent. Warum ist das so wichtig?
Weil nur so Gewalt öffentlich sichtbar gemacht werden kann. Es geht darum, das Bewusstsein dafür zu schärfen und natürlich auch Gewaltvorfälle strafrechtlich zu verfolgen. Deswegen sollte jeder Vorfall gemeldet werden, idealerweise an die Polizei, verbunden mit einem Strafantrag gegen die Täterinnen und Täter. Der deutliche Anstieg zeigt, dass diese Botschaft angekommen ist. Aber da ist noch Luft nach oben.
In der Befragung 2020 stellte sich heraus, dass nur etwas mehr als die Hälfte der Befragten, den am schlimmsten empfundenen Vorfall der Führungskraft oder dem Team gemeldet hat. Hat sich das verbessert?
Die Zahl der Gewalterlebnisse insgesamt hat sich nicht verändert. Jede dritte befragte Person gab an, in den letzten zwei Jahren einen Gewaltvorfall erlebt zu haben. Mein Eindruck bei der ersten Befragung war, dass gerade die Führungskräfte völlig überrascht waren von diesen hohen Zahlen. Aber da hat sich was getan, denn in der aktuellen Befragung haben rund 27 Prozent mehr diese Vorfälle gemeldet. Das ist viel. Die Wahrnehmung für diese Problematik wurde geschärft. Die Führungskräfte nehmen das nun anders wahr und empfinden es auch eher als ihre Aufgabe, da helfend einzuschreiten und signalisieren das offenbar auch in ihre Teams hinein. Aber: Auch in der zweiten Befragung haben sich 80 Prozent der Befragten gewünscht, dass Führungskräfte sensibilisiert werden. Es ist wichtig zu vermitteln, dass vermeintliche Bagatelle, wie verbale Bedrohungen oder das angedrohte Anfahren mit einem Fahrzeug, auch Gewalt sind. Führungskräfte müssen das ernst nehmen und nicht abtun. Es sind belastende Erlebnisse. Und deswegen ist es eine Führungsaufgabe, da gegenzusteuern. Aber ich glaube, wir sind auf einem guten Weg.
Als Feuerwehr-Unfallkasse kümmern Sie sich darum, Unfälle bei den Einsätzen zu verhindern. Wie können sich Einsatzteams vor Gewalt schützen?
Mehr als 80 Prozent der Befragten haben angegeben, dass die Situation für sie nicht vorhersehbar war. Sie sind im Einsatz, wollen helfen und stehen vor der Situation, dass sie angepöbelt und beschimpft werden. Viele haben sich gewünscht, dass sie auf solche Situationen vorbereitet werden, zum Beispiel durch entsprechende Deeskalationstrainings. Das ist eine wichtige Präventionsmaßnahme und wir haben als Feuerwehr-Unfallkasse darauf reagiert und unser Seminarangebot verstärkt. Der Bedarf ist groß, die Seminare sind sofort ausgebucht.
Was wünschen sich die Feuerwehrkräfte darüber hinaus an Unterstützung?
Sie wünschen sich den Rückhalt durch die Politik. Der wird auch regelmäßig versichert. Sie wünschen sich auch, dass ihre Führungskräfte an Schulungsmaßnahmen teilnehmen. Und sie wünschen sich, dass solche Vorfälle zur Anzeige gebracht werden und konsequent verfolgt werden. Dass Verfahren mangels öffentlichen Interesses nicht eingeleitet werden, ist oft ein schwerer Schlag und stößt auf Unverständnis.
Sie unterstützen die Kampagne #schlussdamit der Polizei und dem Landesfeuerwehrverband Niedersachsen, haben eine Resolution verfasst und die Befragungsergebnisse gemeinsam mit der Innenministerin von Niedersachsen Daniela Behrens vorgestellt. Was muss die Politik tun, damit Feuerwehren in Ruhe das tun können, was ihre Aufgabe ist: Menschen helfen?
Wir als Unfallkasse können die politische Großwetterlage nicht beeinflussen. Aber ich wünsche mir, dass die Politik das Thema Strafverfolgung stärker aufgreift. Die Staatsanwaltschaften sind, anders als die Gerichte, weisungsgebundene Behörden. Hier könnte man, glaube ich, durch eine klare Ansage der politisch Verantwortlichen auch dafür Sorge tragen, dass Verfahren eingeleitet und durchgeführt werden. Post von der Staatsanwaltschaft zu bekommen, regt vielleicht an, das eigene Verhalten zu reflektieren. Für die Feuerwehrkräfte wäre es ein Signal, dass diese Vorfälle ernst genommen werden und nicht ohne Konsequenzen bleiben.
Respekt ist eines der Schlüsselwörter, wenn es um Gewalt geht.
Ja, Respektlosigkeit ist leider ein Thema, welches viele Berufsgruppen betrifft. Dagegen helfen nur Öffentlichkeit und ein klares Bekenntnis für ein faires, rücksichtsvolles Miteinander. Und ein klares ‚Nein‘ zur Gewalt. Ich bin davon überzeugt, dass es einen gesellschaftlichen Konsens dafür gibt. Die Betroffenen, die Politik und wir alle, die jederzeit darauf vertrauen können, dass die Feuerwehr, der Rettungsdienst, die Polizei oder das Gesundheitspersonal uns helfen, wenn wir in Not sind, müssen da zusammenstehen. Das sind Menschen, auf die wir alle angewiesen sind. Sie verdienen unsere Wertschätzung und Respekt.
Gewalt gegen Einsatz- und Rettungskräfte ist immer wieder ein Thema. Die Feuerwehr-Unfallkasse Niedersachsen hat eine Follow-Up Befragung zu Erfahrungen mit Beleidigungen, Beschimpfungen, Bedrohungen und tätlichen Angriffen in den Freiwilligen Feuerwehren in Niedersachsen durchgeführt, Mit ihrer Befragung von mehr als 1.300 Mitgliedern der Freiwilligen Feuerwehr gibt die FUK Niedersachsen einen datenbasierten Überblick. 8,5 Prozent der Teilnehmenden haben bereits die Befragung in 2020 beantwortet. www.fuk.de > Prävention > Gewalt gegen Einsatzkräfte |
Bildquelle: Lukas von Löper