Zur Diagnose des medizinischen Krankheitsbildes einer Berufskrankheit Nr. 4301 „Durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen” bedarf es einer genauen und spezifischen Anamnese sowie eines umfassenden allergologischen Diagnosespektrums. Am Fall einer Tierpflegerin werden die Herausforderungen bei der Begutachtung aufgezeigt.
Eine 31-jährige Zootierpflegerin stellte sich im IPA zur Begutachtung einer Berufskrankheit mit der Nummer 4301 (BK-Nr. 4301) „Durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen (einschließlich Rhinopathie)“ vor. Der Verdacht auf eine Sensibilisierung gegen Allergene am Arbeitsplatz ergab sich aufgrund von neu aufgetretenen Atemwegsbeschwerden bei Kontakt zu Lebendfuttermitteln.
Bislang sind in der wissenschaftlichen Literatur keine größeren epidemiologischen Studien über beruflich bedingte Sensibilisierungen gegen Insekten als Lebendfuttermittel bei Zootierpflegerinnen und -pflegern bekannt. Allerdings wird in einzelnen Fallschilderungen und kleineren Studien berichtet, dass der berufliche Kontakt, zu Insekten, zum Beispiel bei der Herstellung von Futter-/Nahrungsmitteln oder Fischködern, eine Sensibilisierung sowie ein allergisches Krankheitsbild auslösen kann (Siracusa et al. 2003, Harris-Roberts et al. 2011, Ganseman et al. 2023).
Die Identifizierung einer krankheitsauslösenden Sensibilisierung gegen Allergene am Arbeitsplatz ist sowohl für Versicherte als auch für die Unfallversicherungsträger von großer Bedeutung. So können – basierend auf der Identifizierung – gezielt präventive Maßnahmen ergriffen werden, um ein Fortschreiten der Erkrankung zu verhindern. Da beruflich relevante Testallergene kommerziell aber immer weniger verfügbar sind, wird die qualitätsgesicherte Diagnostik von Typ I-Allergien zunehmend erschwert.
Die Versicherte schloss 2013 ihre Ausbildung zur Zootierpflegerin ab. Seit 2014 ist sie in einem Tierpark beschäftigt. Hier hatte sie im Vergleich zu ihrer Ausbildung einen intensiveren Kontakt zu Lebendfutter und auch zu Muntjaks, die zur Gattung der Hirsche gehören und ursprünglich in Asien leben.
Beschwerden der Atemwege bemerkte sie erstmalig im Jahr 2016 während der Arbeit. Insbesondere bestand Luftnot mit einem Engegefühl im Bereich der Brust sowie Husten bei Kontakt mit Lebendfuttermitteln wie Mehlwürmern, Heuschrecken oder Schaben in der Futtermittelküche. Nach längeren Aufenthalten in der Futtermittelküche litt sie unter solchen Beschwerden, die teilweise bis in die Nacht hinein anhielten. Die Beschwerden können auch durch Kontakt mit Futtermittelstäuben oder mit Muntjakhaaren ausgelöst werden. Im Urlaub ist sie dagegen beschwerdefrei.
In der Kindheit traten Ausschläge im Bereich der Gelenkbeugen auf. Weiterhin leidet sie im Frühjahr unter einem Heuschnupfen. Ein Asthma bronchiale oder anderweitige Luftnotbeschwerden waren bis 2016 aber nicht aufgetreten. Gravierende Vorerkrankungen lagen bislang bei ihr nicht vor.
Zum Zeitpunkt der Vorstellung im IPA war die Versicherte aufgrund der selteneren Aufenthalte im Futtermittelhaus beschwerdefrei. Insbesondere sind keine erneuten asthmatischen Beschwerden aufgetreten. Weiterhin besteht keine Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit. Eine atemwirksame Therapie bestand zum Zeitpunkt der Vorstellung im IPA nicht.
Die Lungenfunktionsdiagnostik erfolgte ohne Einwirkung einer atemwirksamen Medikation. Die gemessenen Parameter lagen in den altersentsprechenden Referenzbereichen. Insbesondere konnten keine Verminderung der Ein-Sekunden-Kapazität oder Erhöhung der bronchialen Widerstände nachgewiesen werden. Somit bestand kein Hinweis für eine Verengung der Atemwege (obstruktive Atemwegserkrankung) zum Untersuchungszeitpunkt.
Bereits im Vorfeld wies die behandelnde Lungenfachärztin eine bronchiale Hyperreagibilität nach. Daher wurde auf eine erneute Durchführung einer unspezifischen Provokation mit Methacholin verzichtet. Bei der Messung des fraktionierten exhalierten Stickstoffmonoxids (FeNO) wurde ein erhöhter FeNO-Wert in der Ausatemluft nachgewiesen. Dies unterstützt die Diagnose einer bestehenden Asthma-typischen Atemwegsentzündung.
Aufgrund der Anamnese ergab sich der Verdacht, dass die asthmatischen Beschwerden der Versicherten durch den Kontakt mit Insekten als Lebendfuttermittel ausgelöst wurden. Im Standard-Pricktest konnte eine leichtgradige Sensibilisierung gegen Baumpollen und Wiesenlieschgras nachgewiesen werden. Testlösungen zur Bestimmung spezifischer IgE-Antikörper gegen Küchenschaben und Mehlwürmer waren kommerziell verfügbar. Die Testlösung gegen Heuschreckenhaut wurde bereits für einen vorherigen Gutachtenfall im IPA hergestellt und stand somit ebenfalls zur Verfügung. Letztendlich konnte durch einen erhöhten IgE-Titer (jeweils CAP-Klasse 2) eine Sensibilisierung gegen Heuschreckenhaut, Küchenschaben sowie Mehlwürmer bestätigt werden. Der spezifische IgE-Test auf ubiquitäre Inhalationsantigene (sx1) war schwach positiv. Es bestand dagegen kein Hinweis für eine Sensibilisierung gegen verschiedene Milbenarten, Tierhaare-/haut oder Federn.
Voraussetzung für die Anerkennung einer BK-Nr. 4301 ist der Nachweis einer obstruktiven Atemwegserkrankung und/oder Rhinopathie. Zur obstruktiven Atemwegserkrankung zählen das Asthma bronchiale, die chronisch obstruktive Bronchitis sowie ein hyperreagibles Bronchialsystem. Weiterhin muss eine berufliche Gefährdung, hierbei ein relevanter Kontakt mit potenziellen Allergenen, gesichert sein. Schließlich muss die Erkrankung mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit durch den beruflichen Allergenkontakt ausgelöst worden sein. Die Beurteilung der Verursachungswahrscheinlichkeit ist häufig komplex, da auch außerberufliche Umweltallergene vergleichbare Krankheitsbilder auslösen können.
Im vorliegenden Fall wurde bei der Versicherten bereits im Vorfeld durch die behandelnde Lungenfachärztin eine obstruktive Atemwegserkrankung durch den Nachweis einer bronchialen Hyperreagibilität bei der unspezifischen Provokationstestung mit Methacholin nachgewiesen. Dies entspricht dem Krankheitsbild einer BK-Nr. 4301. Aufgrund einer gezielten Anamnese konnte der Verdacht auf einen beruflichen Zusammenhang erhärtet und mögliche krankheitsauslösende Allergene am Arbeitsplatz identifiziert werden. Eine Sensibilisierung wurde durch den Nachweis erhöhter IgE-Antikörper-Konzentrationen gegen die anamnestisch identifizierten beruflichen Allergene bestätigt. Das Fehlen bronchialer Beschwerden vor Aufnahme der Tätigkeit sowie der Nachweis spezifischer IgE-Antikörper sprachen eindeutig dafür, dass die beruflich bedingte Allergenexposition und Sensibilisierung ursächlich für die bronchiale Hyperreagibilität sind.
Die Diagnostik der circa 400 beruflichen Typ I-Allergene mit Hilfe von Pricktests wird dadurch erschwert, dass nur sehr wenige als Testextrakte kommerziell zur Verfügung stehen. Zusätzlich nimmt seit Jahren die Verfügbarkeit zugelassener qualitätsgesicherter Allergentestextrakte ab. Grund hierfür ist, dass diese für die In-vivo-Hauttestung zulassungspflichtig sind, da sie nach der EU-Richtlinie 2001/83/EG unter die Arzneimittel fallen. Für die Hersteller bedeutet dies einen erhöhten Aufwand bei gleichzeitig geringer Nachfrage. Somit ist die Produktion oftmals nicht mehr rentabel. Auch für die serologische Bestimmung spezifischer IgE-Antikörper gegen berufliche Allergene sind entsprechende Diagnostika nur eingeschränkt kommerziell verfügbar. Das IPA verfügt durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit der Kompetenz-Zentren über die langjährig fachliche Expertise auch selteneren gutachterlichen Fragestellungen nachzugehen. So können für spezielle gutachterliche Fragestellungen mit dem Verdacht auf eine Typ I-Allergie Allergenextraktlösungen insbesondere für die serologische spezifische IgE-Bestimmung hergestellt werden. In Kooperation mit dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) wird zurzeit ein Forschungsprojekt durchgeführt, um die langfristige Verfügbarkeit standardisierter Allergietestungen für berufsbedingte allergische Erkrankungen zu verbessern und somit auch zukünftig eine sichere Diagnose der Typ I-Allergie zu gewährleisten.
Der Fallbericht zeigt, dass für die Begutachtung einer BK-Nr. 4301 eine umfassende Anamnese unabdingbar ist. Insbesondere die Schilderung konkreter beschwerdeauslösender Arbeitssituationen kann den entscheidenden Hinweis auf das verursachende Allergen geben. Der Nachweis einer IgE-vermittelten Sensibilisierung gegen das, in Verdacht stehende Allergen, erfolgt durch den Pricktest oder die quantitative Bestimmung spezifischer IgE-Antikörper. Ein spezifischer Provokationstest sollte nur in speziellen Fällen nach sorgfältiger Indikationsstellung erwogen werden.
Die interdisziplinäre Zusammenarbeit der Kompetenz-Zentren sowie die langjährige fachliche Expertise des IPA ermöglichen auch die Beantwortung seltenerer gutachterlicher Fragestellungen. Bei nicht kommerziell verfügbaren Testmöglichkeiten können im IPA Allergenextraktlösungen insbesondere für die serologische spezifische IgE-Bestimmung hergestellt werden. In Kooperation mit dem Paul-Ehrlich-Institut wird zurzeit ein Forschungsprojekt durchgeführt, um die langfristige Verfügbarkeit standardisierter Allergieteste für berufsbedingte allergische Erkrankungen zu verbessern.
Bei der Erhebung der Anamnese sollten sämtliche, insbesondere allergisch bedingte Vorerkrankungen, inklusive Unverträglichkeiten zum Beispiel gegen Nahrungsmitteln und Medikamenten, bis in die Kindheit zurück erfragt werden. So können wichtige Rückschlüsse auf besondere Empfindlichkeiten (individuelle Suszeptibilität) gezogen werden. Außerdem können vorbestehende außerberufliche Erkrankungen vom bestehenden Krankheitsbild besser abgegrenzt werden.
Neben typischen Krankheitssymptomen werden in der Anamnese auch der zeitliche Verlauf der Beschwerden sowie auslösende Faktoren erfragt. Typisch für ein beruflich bedingtes Asthma bronchiale ist ein Erkrankungsbeginn erst nach Aufnahme der beruflichen Tätigkeit. Aber auch eine Verschlimmerung einer vorbestehenden Erkrankung ist möglich. Oftmals können Betroffene von konkreten beschwerdeauslösenden Arbeitssituationen berichten, welche den entscheidenden Hinweis auf das verursachende Allergen geben.
Die allergologische Diagnostik soll auf Grundlage der allgemeinen und berufsbezogenen Anamnese erfolgen. Der Hautpricktest ist ein sensitives, gut etabliertes und kostengünstiges Verfahren zum Nachweis von IgE-vermittelten Sensibilisierungen und das Testergebnis ist sofort ablesbar. Soweit keine Kontraindikation besteht, wird er in der deutschen Leitlinie für die Diagnostik von allergischen Soforttyp-Reaktionen empfohlen (Ruëff et al. 2011).
Eine Typ I-Allergie kann auch über die quantitative Bestimmung spezifischer IgE-Antikörper im Blut gegen ein Allergenextrakt nachgewiesen werden. Die Bestimmung spezifischer IgE-Antikörper sollte insbesondere bei Gegenanzeigen für einen Pricktest oder fehlender Verfügbarkeit einer standardisierten Hauttestung erfolgen. Zusätzlich kann der Nachweis spezifischer IgE-Antikörper das Ergebnis eines Pricktests bestätigen. Bei negativer Hauttestung und einem klaren Expositionsbezug der Beschwerden sollte ebenfalls eine Bestimmung der spezifischen IgE-Antikörper erfolgen (siehe „Empfehlung für die Begutachtung der Berufskrankheiten der Nummern 1315 (ohne Alveolitis), 4301 und 4302 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV)“).
Bei einem spezifischen Provokationstest wird eine Probandin oder ein Proband unter kontrollierten Bedingungen mit einem potenziellen Allergen exponiert. Liegt eine Sensibilisierung vor, können hierbei in der Regel Beschwerden ausgelöst werden. Um die bronchialen Beschwerden zu objektivieren, finden nach der Provokation verschiedene Lungenfunktionsprüfungen statt. Berücksichtigt werden muss aber, dass es nicht für alle Allergenquellen standardisierte Provokations-Verfahren gibt. In seltenen Fällen kann als Komplikation ein schwerer Asthmaanfall ausgelöst werden. Ein spezifischer Provokationstest erfolgt deshalb nur nach sorgfältiger Indikationsstellung und Zustimmung der versicherten Person nach einer ärztlichen Aufklärung in spezialisierten medizinischen Zentren.
Prof. Dr. Thomas Brüning
Dr. Christian Eisenhawer
Stefanie Eitner
Dr. Sabine Kespohl
Prof. Dr. Monika Raulf
Dr. Simon Weidhaas
IPA
Empfehlung für die Begutachtung der Berufskrankheiten der Nummern 1315 (ohne Alveolitis), 4301 und 4302 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) – „Reichenhaller Empfehlung“ https://publikationen.dguv.de/versicherungleistungen/berufskrankheiten/1946/reichenhaller-empfehlung
Merkblatt zur Berufskrankheit Nr. 4301, Durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen (einschließlich
Ruëff F, Bergmann KC, Brockow K, Fuchs T, Grübl A, Jung K, Müsken L, Pfaar O, Przybilla B, Sitter W, Wehrmann W. Hauttests zur Diagnostik von allergischen Soforttyp-Reaktionen. Pneumologie 2011; 65: 484-495 DOI: http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0030-1256476
Siracusa A, Marcucci F, Spinozzi F, Marabini A, Pettinari L, Pace ML, Tacconi C. Prevalence of occupational allergy due to live fish bait, Clin Exp Allergy 2003; 33: 507-10. DOI: 10.1046/j.1365-2222.2003.01641.x.
Harris-Roberts J, Fishwick D, Tate P, Rawbone R, Stagg S, Barber CM, Adiesesh A. Respiratory symptoms in insect breeders”. Occup Med 2011; 61: 370-373 DOI: 10.1093/occmed/kqr083.
Ganseman E, Goossens J, Blanter M, Jnckheere AC, Bergmanns N, …Schrijvers R. Frequent allergic sensitization to farmed edible insects in exposed employees, J Allergy Clin Immunol Pract 2023;11: 3732-3741. e10. DOI: 10.1016/j.jaip.2023.07.039.