
Michael Vogt, 41 Jahre, leitet seit zwei Jahren den Fachbereich Soziales und Wohnen der Stadt Coesfeld. Damit ist er zuständig für das Jobcenter, Sozialhilfe, obdachlose Personen, Flüchtlinge, Renten, Wohngeld, Wohnungsaufsicht u.a.
Herr Vogt, können Sie uns Ihren typischen Arbeitstag schildern?
Einen typischen Arbeitstag gibt es eigentlich nicht. Es kommt sehr häufig vor, dass ich mir für den nächsten Tag eine bestimmte Aufgabe vornehme und dann doch nicht dazu komme, da es spontan andere Dinge zu klären gilt. Dabei sehe ich es als Fachbereichsleiter als meine Hauptaufgabe an, alles dafür zu tun, dass die Mitarbeitenden möglichst störungsfrei und effizient arbeiten können. Viel Zeit verbringe ich in Besprechungen – mit städtischen Kolleginnen und Kollegen oder mit externen Netzwerkpartnern. Es geht dabei oft um die Verbesserung von Prozessen oder die Lösung von konkreten Problemen.
Insgesamt ist meine Tätigkeit sehr abwechslungsreich. Kein Tag gleicht dem anderen und das macht für mich auch den besonderen Reiz aus. Die Herausforderung besteht darin, immer wieder Lösungen zu finden, die sowohl den Anforderungen der Mitarbeitenden als auch den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger bzw. der Kundinnen und Kunden gerecht werden. Zudem sind die Themen in meinem Fachbereich kontinuierlich von gesetzlichen oder geopolitischen Veränderungen betroffen.
Haben Sie sich Ihre Tätigkeit vor zwei Jahren so vorgestellt?
Tatsächlich ist mein Job so, wie ich ihn mir damals vorgestellt habe. Ich habe auch vorher schon in der Sozialverwaltung einer anderen Stadt gearbeitet. Daher kannte ich die Vielfalt der Aufgaben und die hohe Dynamik, die dieser Bereich mit sich bringt. Natürlich ist jede Stadtverwaltung wieder etwas anders. Aber hier in Coesfeld habe ich mich von Anfang an sehr wohl gefühlt und die Kolleginnen und Kollegen haben mir den Einstieg sehr leicht gemacht.
Spielt das Risko Gewalt und tatsächlich erlebte Gewalt eine große Rolle in Ihrem Tätigkeitsbereich? Wenn ja, war Ihnen das hohe Konfliktpotential klar?
In unserer täglichen Arbeit geht es oft um Menschen in schwierigen Lebenssituationen, die vielfach am Rand der Gesellschaft stehen, emotional belastet sind und manchmal auch ihre Frustrationen oder Ängste an den Mitarbeitenden ausdrücken. Beleidigungen, Drohungen und andere Formen psychischer oder verbaler Gewalt sowie Gewalt gegen Gegenstände, wie Türenschlagen oder Möbel umschmeißen, kommen leider immer wieder vor. Physische Gewalt gegen Mitarbeitende haben wir glücklicherweise sehr selten. Aber es ist auch schon einmal vorgekommen, dass ein Mitarbeiter mit einem Messer bedroht wurde.
Ich selbst habe auch bei meinen vorherigen Tätigkeiten Gewalt erlebt. Auch dort kam es immer mal wieder zu verbalen Angriffen oder Drohungen. Dadurch weiß ich wie wichtig es ist, dieses Thema ernst zu nehmen, präventive Maßnahmen zu entwickeln und als Führungskraft den Mitarbeitenden zu signalisieren, dass sie nicht allein mit der Situation sind. Ganz ähnlich dem Motto der DGUV-Kampagne: Es geht uns alle an, wenn einer von uns angegangen wird.
Wie sind Sie persönlich mit diesen Angriffen und Drohungen umgegangen?
Aussagen wie "Ich warte auf dich, wenn du Feierabend hast.", oder Drohgebärden wie das Schlagen mit der Faust in die offene Hand mit einem dazu passenden Blick, sind Erlebnisse, die nicht spurlos an einem vorübergehen. Wichtig ist, darüber zu sprechen, sei es mit den Kolleginnen und Kollegen, der Führungskraft oder unter Umständen auch mit professionellen Gesprächspartnern. Mir persönlich hat meistens der Gedanke geholfen, dass die Drohung nicht mir als Person gilt, sondern meiner Funktion als Vertreter des Sozialamtes, der Stadt, bzw. des Staates. Aber genauso wichtig war und ist es mir auch, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, beispielsweise einen Strafantrag zu stellen oder ein Hausverbot auszusprechen. Der Täter soll wissen, dass sein Verhalten inakzeptabel ist. Zum eigenen Schutz kann im Einzelfall auch eine Auskunftssperre beim Einwohnermeldeamt sinnvoll sein. Ich persönliche habe auch immer darauf geachtet, möglichst wenig über mein Privatleben – Wohnort, Kinder, Hobbies – preis zu geben. Das ist in Zeiten des Internets nicht immer so einfach.
Wie stellt sich das Thema Gewaltübergriffe insgesamt in Ihrem Fachbereich dar?
Gleichwohl Gewaltübergriffe glücklicherweise nicht die Regel sind, müssen wir uns jederzeit der Tatsache bewusst sein, dass das Konfliktpotenzial durch die hohe emotionale Belastung vieler Kundinnen und Kunden gegeben ist. Deshalb nehmen wir das Thema sehr ernst und haben mehrere Präventionsmaßnahmen etabliert. Die Kolleginnen und Kollegen nehmen beispielsweise regelmäßig an Deeskalationstrainings teil, nahezu alle Arbeitsplätze sind mit einem Notrufsystem ausgestattet und wir haben Handlungsleitlinien für den Fall entwickelt, dass es zu Übergriffen kommt. Dazu gehören auch eine entsprechende Erstversorgung und Nachsorge der Betroffenen. Insgesamt lege ich großen Wert darauf, dass das Thema Gewaltprävention und Deeskalation in der täglichen Arbeit immer wieder im Fokus steht.
Greifen Sie als Führungskraft in schwierigen Fällen bzw. beim Umgang mit herausfordernden Kunden auch persönlich bei Korrespondenz oder Gesprächen ein? Wenn ja, können Sie ein Bespiel schildern?
Es ist deutlich spürbar, dass die Hemmschwelle für Gewalt sinkt. Daher halte ich es für besonders wichtig, sehr klar dafür einzustehen, dass jegliche Form von Gewalt eine unmittelbare Reaktion erfährt. Gewalt darf nicht Alltag werden! Auch Kritik kann freundlich und ohne Beleidigung oder Wutausbruch geäußert werden. Es gilt daher der Grundsatz: Null Toleranz bei Gewalt! Und das gilt selbstverständlich auch für vermeintlich "kleine" Fälle. Beispielsweise hatte eine Mitarbeiterin kürzlich einen Kunden aufgefordert, bestimmte Unterlagen einzureichen, um den Vorgang weiter bearbeiten zu können. Der Kunde machte daraufhin in einer Mail seinen Frust und seine Verzweiflung deutlich und schloss mit dem Satz: "Wenn ich mir demnächst einen Strick nehme, sind Sie dafür verantwortlich!" Diese Aussage ist grundsätzlich dazu geeignet, beim Adressaten psychischen Druck auszuüben oder diesen sogar psychisch zu schädigen. Insofern handelt es sich um (psychische) Gewalt. Hier habe ich als Führungskraft zum einen die Mitarbeiterin bestärkt, dass es richtig war, ein solches Verhalten zu melden und damit eben nicht allein zu sein. Zudem habe ich umgehend ein Telefongespräch mit dem Kunden geführt. Dabei ist es zum einen wichtig, Verständnis für die individuelle, belastende Situation des Kunden zu äußern und in diesem konkreten Fall der Suizidandrohung auch die Vermittlung professioneller Hilfe anzubieten. Aber genauso wichtig ist es mir auch, deutlich zu machen, was seine Aussage beim Gegenüber bewirken kann, dass es sich um Gewalt handelt und sein Verhalten – bei allem Verständnis für die individuelle Situation – absolut inakzeptabel ist. Im konkreten Beispielfall hat sich der Kunde anschließend bei der Mitarbeiterin entschuldigt und klargestellt, dass er tatsächlich keine Suizidgedanken hege und diese Aussage allein aufgrund seiner Verärgerung getätigt habe.
Was meinen Sie, wie könnte der Umgang zwischen Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeitern und Kunden verbessert werden? Haben Sie z.B. schon einmal Poster / Aufsteller mit "Benimm- und Umgangsregeln" ausprobiert, wie man sie aus Arztpraxen oder Krankenhäusern kennt?
In den Wartebereichen und den Fluren unseres Gebäudes hängt die "Grundsatzerklärung gegen Gewalt" der Stadt Coesfeld aus. Das geht ja in diese Richtung. Mit anderen Postern habe ich noch keine Erfahrungen gemacht. Das sollten wir sicherlich mal ausprobieren. Ich glaube, wichtig ist, dass jegliche Form von Gewalt auch gesellschaftlich immer wieder vehement verurteilt wird. Wenn Täter nach einem Übergriff in ihrem Freundes- oder Bekanntenkreis mit ihrer Tat prahlen können, dann läuft etwas gehörig schief. Täter dürfen sich nicht stark fühlen können, sondern es muss ihnen unangenehm sein. Deswegen ist es mir so wichtig, dass jegliche Gewalt, und sei der Vorfall auch noch so vermeintlich „unbedeutend“, konsequent eine Reaktion erfährt. Was wir von unserer Seite aus präventiv tun können, sollten wir auch tun. Dazu gehören eben unter anderem die Deeskalationstrainings der Mitarbeitenden. Empathie und Verständnis sowie eine respektvolle und wertschätzende Kommunikation können helfen, Missverständnisse und Konflikte zu vermeiden. Und das gilt eben immer für beide Seiten!