
Interview mit Hannah Huxholl, Psychologin bei der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) und Prof. Margrit Löbner, Professorin für Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt am Institut für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health der Universität Leipzig (ISAP), zum Mobbing-Report.
Gerüchte streuen, systematisch ausgrenzen, bloßstellen – Mobbing in der Arbeitswelt hat viele Gesichter. Vor allem jüngere Arbeitnehmende sind davon betroffen. Das ist ein Ergebnis des aktuellen Mobbing-Reports des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS). Was Arbeitgebende tun können, damit Mobbing in ihrem Betrieb keinen Platz hat, ordnet Hannah Huxholl, Psychologin bei der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) im Rahmen der Kampagne #GewaltAngehen ein. Prof. Margrit Löbner erklärt einzelne Aspekte der Ergebnisse. Sie hat die Studie wissenschaftlich geleitet, die dem Report zugrunde liegt. Sie hält eine Professur für Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt am Institut für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health der Universität Leipzig (ISAP).
Frau Huxholl, woran erkennt man Mobbing?
Oft geht Mobbing zunächst von einer Einzelperson aus. Diese schikaniert eine andere Person mit dem Ziel, sie mit allen Mitteln auszuschließen beziehungsweise loszuwerden. Mobbing geschieht über einen längeren Zeitraum. Im Verlauf schließen sich häufig weitere Personen dem Mobbing an. Dabei kann es sich um Angriffe innerhalb eines Teams handeln. Die Aggressionen können aber auch von der Führungskraft ausgehen. Mobbing findet niemals zwischen zwei gleich starken Parteien statt. Voraussetzung ist immer ein Machtgefälle, das heißt eine Person oder auch eine Gruppe hat eine stärkere Position inne als eine andere Person beziehungsweise Gruppe.
Handelt es sich bei Mobbing um eine Form von Gewalt, Frau Huxholl?
Mobbing ist eine Form der Gewalt. Sie kann psychisch stattfinden, etwa durch Bloßstellen, Demütigen oder Drangsalieren. Die Gewalt kann aber auch weiter eskalieren und es kann zu körperlichen Übergriffen oder Belästigung kommen.
Frau Huxholl, warum ist Mobbing am Arbeitsplatz ein Thema?
Mobbing ist ein gruppendynamischer Prozess und wird durch bestimmte Konstellationen gefördert. Begünstigend wirkt beispielsweise, wenn die Beteiligten Teil eines festen Teams sind, in dem personelle Wechsel aus unterschiedlichen Gründen nicht oder nur eingeschränkt möglich sind. Daher tritt Mobbing besonders an Schulen, aber auch am Arbeitsplatz auf. Ausgangspunkt kann etwa ein schwelender Konflikt sein, wobei dieser nach und nach in den Hintergrund gerät und stattdessen die betroffene Person Zielscheibe für verschiedenste Schikanen und Herabsetzungen wird.
Ungünstige Rahmenbedingungen wie ein zu hohes Arbeitspensum und daraus resultierender Stress können Mobbing ebenfalls befördern. Daneben spielen auch unzureichende Führungskompetenzen eine Rolle – beispielsweise, wenn die Führungskraft nichts unternimmt und die Dinge einfach laufen lässt. Verfügen Vorgesetzte über wenig Sozial- und Kommunikationskompetenz, haben mobbende Beschäftigte ein leichtes Spiel.
Schauen wir uns kurz den Prozess an, Frau Huxholl. Wie läuft Mobbing ab?
Der Psychoterror beginnt oft subtil. Im weiteren Verlauf wird die betroffene Person systematisch ausgegrenzt, schikaniert, herabgesetzt oder sogar bedroht. Mit der Zeit wird sie zunehmend verunsichert und in der Gruppe isoliert. Der Stresspegel steigt, und Betroffene machen Fehler bei der Arbeit. Wird das Mobbing nicht erkannt und unterbunden, bekommt die oder der gemobbte Beschäftigte oft eine Abmahnung oder wird versetzt. Nicht selten wird der Leidensdruck schließlich so hoch, dass Betroffene kündigen oder gekündigt werden. Mobbing am Arbeitsplatz kann bei den Betroffenen langfristige psychische Störungen zur Folge haben und kann mit Depressionen einhergehen.
Das Leiden vieler Betroffenen wird oft zusätzlich marginalisiert, denn noch immer kursiert die Behauptung, wer gemobbt wird, sei selbst daran schuld. Ein falscher Mythos, weil es keine "typische Opferpersönlichkeit" gibt. Tatsache ist, dass Mobbing im Grunde alle treffen kann: wegen einer Brille, wegen eines Akzents, zu dick, zu dünn, zu laut, zu leise. Gründe werden immer gefunden. Um Mobbing zu beenden, darf die Ursache nicht bei der betroffenen Person gesucht werden. Will man Mobbing ernsthaft vermeiden oder abstellen, muss immer bei den Täterinnen oder Tätern und den Arbeitsbedingungen angesetzt werden.
Frau Prof. Löbner, Sie haben die Studie wissenschaftlich geleitet, die dem Report zugrunde liegt. Gibt es unter Beschäftigten Gruppen, die besonders oft von Mobbing betroffen sind?
Vorbereitend für den Mobbing-Report wurde vom August 2023 bis Januar 2024 eine vom BMAS beauftragte Studie zu Mobbing-Erfahrungen am Arbeitsplatz durchgeführt. Dieser zufolge geben vor allem jüngere Beschäftigte zwischen 18 und 29 Jahren an, deutlich häufiger von Mobbing betroffen zu sein als etwa über 50-Jährige. Knapp acht Prozent der jüngeren Beschäftigten sagen, in den letzten 6 Monaten von Kolleginnen und Kollegen gemobbt worden zu sein. In sechs Prozent der Fälle ging das Mobbing von Vorgesetzten aus. Bei Beschäftigten jenseits der 50 liegt die Häufigkeit, von Mobbing betroffen zu werden, mit etwa zwei Prozent deutlich niedriger. In ähnlicher Weise sehen wir in der Befragung auch, dass in der Gruppe der Auszubildenden Mobbing besonders häufig vorkommt. Auch hier wird Mobbing vor allem von Kolleginnen und Kollegen initiiert: Etwa neun Prozent der Auszubildenden sind hiervon betroffen. Warum das so ist, können wir nur vermuten. Möglicherweise sind jüngere Beschäftigte für das Thema sensibilisierter, während ältere es seltener als solches benennen. Denkbar wäre auch, dass jüngere Beschäftigte weniger Erfahrung im Umgang mit Konflikten haben und sich unsicherer fühlen, während ältere Beschäftigte durch ihre längere Berufserfahrung möglicherweise über mehr Strategien zur Konfliktbewältigung verfügen. Jüngere Beschäftigte erleben aufgrund des Berufsstarts möglicherweise auch häufiger ein Machtgefälle, was auch das Risiko für das Auftreten von Mobbing erhöhen kann.
Gibt es neben den Jüngeren weitere Beschäftigtengruppen, die laut Report besonders betroffen sind, Frau Prof. Löbner?
Neben den erwähnten jüngeren Beschäftigten sind auch Beschäftigte mit Migrationshintergrund vermehrt betroffen. Die repräsentative Studie belegt eine deutliche Tendenz: In der Gruppe der Beschäftigten, die Mobbing erleben, haben 20% einen Migrationshintergrund, also deutlich häufiger als in der Gruppe der Beschäftigten ohne Mobbingerfahrung (13,5%). Wir können nur mutmaßen, woran das liegt. Denkbar ist, dass es Menschen mit Migrationshintergrund aufgrund von Sprachbarrieren schwerer haben, sich gegen Mobbing zu wehren. Kulturelle Unterschiede könnten im Arbeitskontext zu mehr Missverständnissen führen. Auch Diskriminierung und unbewusste Vorurteile könnten in dem Zusammenhang eine Rolle spielen. Dies könnte dazu führen, dass sie häufiger zum Ziel von Mobbing werden oder es schwerer haben, Unterstützung im Kollegenkreis zu finden. Möglicherweise sind Beschäftigte mit Migrationshintergrund auch häufiger in prekären oder unsicheren Arbeitsverhältnissen tätig, was ihre Abhängigkeit vom Arbeitsplatz erhöht. Mobbing war in unserer Studie auch verstärkt bei Personen in Leih- oder Zeitarbeitsverhältnissen zu finden. Es könnte also auch mit den Arbeitsbedingungen zusammenhängen.
Frau Huxholl, die folgenden Fragen richten wir erneut an Sie: Wenn Betroffene merken, dass sie gemobbt werden: Was können sie konkret tun, an wen sollten sie sich wenden?
Betroffene sollten es unverzüglich im Betrieb melden, wenn sie erkennen, dass sie gemobbt werden. Ihre Ansprechpersonen sind Vorgesetzte oder Kontaktpersonen im Unternehmen wie die Betriebsärztin beziehungsweise der Betriebsarzt, die Interessenvertretung oder die Personalabteilung. Hier sollten sie Unterstützung bekommen, denn Arbeitgebende sind grundsätzlich ihren Beschäftigten gegenüber zur Fürsorge verpflichtet. Wenn sie also von Mobbing in ihrem Unternehmen erfahren, müssen sie Betroffene unterstützen. Damit letztere plausibel aufzeigen können, dass sie gemobbt werden und wer dafür verantwortlich ist, empfiehlt sich ein Mobbing-Tagebuch zu führen. Darin sollten detailliert die Mobbingerfahrungen protokolliert werden.
Wie können Führungskräfte Mobbing in ihrem Team erkennen und wie sollten sie konkret handeln?
Sehr oft erfahren Führungskräfte eher spät von Mobbing in ihren Reihen, der Prozess ist schon fortgeschritten, der Handlungsbedarf akut. Sie müssen sich rasch einen Überblick verschaffen: Wer ist Täter oder Täterin? Wer ist von den Schikanen betroffen? Wichtig ist schließlich klare Grenzen zu setzen, sich eindeutig zu positionieren und das Mobbing zu unterbinden. Außerdem sollten Arbeitsbedingungen hinterfragt werden: Warum kam es zu einem Machtgefälle, welches das Mobbing begünstigt hat? Warum fällt das Mobbing erst jetzt auf? Wie können Arbeitsbedingungen verändert werden, damit es nicht erneut zu Mobbing kommt?
Was muss auf betrieblicher Ebene getan werden, um Mobbing entgegenzuwirken?
Betriebe sind klar in der Pflicht. Arbeitgebende müssen ihrer Fürsorgepflicht nachkommen und etwa dafür sorgen, dass Anfeindungen und Einschüchterungen gar nicht erst auftreten. Ansatzpunkt kann eine Gefährdungsbeurteilung insbesondere in Hinblick auf Gefährdungen durch psychische Belastung sein. Sind Rollenverteilungen klar definiert, sind Arbeitsabläufe transparent und ist die Arbeitsmenge angemessen?
Von großer Bedeutung sind Betriebsklima und Umfeld. Beschäftigte mit Ambitionen, eine unliebsame Person zu mobben, werden in einer kollegial geprägten Umgebung wenig Rückhalt bei der Umsetzung ihrer Ambitionen finden. Weder durch das eigene Team noch durch die Führungskräfte. Doch ein gewaltfreies, offenes und wertschätzendes Umfeld fällt nicht vom Himmel. Hier müssen Betriebe aktiv werden. Beispielsweise können sie gemeinsam mit den Beschäftigten Regeln des kollegialen, respektvollen Miteinanders festlegen. Das kann ein gemeinsam entwickelter Verhaltens- und Wertekodex sein, zu dem sich alle bekennen und der im Alltag auch gelebt wird. Oder eine Dienst- bzw. Betriebsvereinbarung. Betriebe sollten solche Vereinbarungen aushängen und sie immer wieder in Erinnerung bringen. Es empfiehlt sich auch Maßnahmen für den konkreten Umgang mit Mobbing zu definieren, eine Art Handlungsleitfaden. So kann im Fall der Fälle schnell reagiert werden.
Unternehmensleitung und Führungskräfte sollten eine klare Haltung gegen Mobbing einnehmen und kommunizieren, dass Mobbing im Betrieb nicht geduldet wird. Sinnvoll ist außerdem, im Betrieb über interne oder externe Beratungsmöglichkeiten und Beschwerdestellen zu informieren.
Wie beurteilen Sie das, Frau Huxholl, was kann ein gutes Betriebsklima bewirken?
In Betrieben, die sich klar zu einem gewaltfreien, wertschätzenden Miteinander bekennen, vertrauen sich von Mobbing Betroffene früher ihrer Führungskraft oder anderen Kontakt- oder Vertrauenspersonen an. Auch der Betriebsrat ist eine verlässliche Anlaufstelle. So kann ein Mobbingfall frühzeitig erkannt und eingehegt werden. Insgesamt gilt: Ein grundsätzlich von Respekt und Wertschätzung geprägtes Betriebsklima gibt Mobbing keine Chance.
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